Die Top 10 der stärksten Schmerzmittel 2023
Schmerzen sind ein vielschichtiges Leiden, das das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen und...
By: Dr. Julian Wichmann 23.11.23 16:33
Medizinische Cannabispräparate haben sich in den letzten Jahren zu einer seriösen Therapieoption bei ausbleibender oder intolerabler Wirkung einiger etablierter Arzneimittel entwickelt. Trotz vermehrter Evidenz für positive Effekte bei Erkrankungen wie chronischen Schmerzen oder Spastizität bei multipler Sklerose können bei der Einnahme in einigen Fällen insbesondere auch leichte Nebenwirkungen beobachtet werden. Für vulnerable Patientinnen und Patienten kann sich hierdurch auch eine sogenannte Kontraindikation für die Einnahme von medizinischem Cannabis ergeben. In folgendem Text werden hiervon besonders betroffene Patientengruppen benannt und Hintergrundinformationen zur allgemeinen Sicherheit der Anwendung von medizinischem Cannabis gegeben.
Beinahe jedes Arzneimittel kann bei entsprechend hoher Dosierung Nebenwirkungen verursachen. In der Fachsprache ist aufgrund der Tatsache, dass Medikamente in der Regel nur für einen speziellen therapeutischen Effekt eingesetzt werden, jedoch häufig vielfältige Wirkungen hervorrufen, auch von unerwünschten Arzneimittelwirkungen die Rede. Bekannte Beispiele gibt es genug. So kann Aspirin® über den Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) sowohl gegen Schmerzen und Fieber, gleichzeitig aber auch für eine verminderte Verklumpung von Blutplättchen und damit zur Vorbeugung von erneuten Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt werden. Nur selten sind beide Wirkungen auf einmal erwünscht und so sehen sich die Behandler in einer stetigen Abwägung beider Effekte. Besondere Vorsicht ist demnach bei Patienten geboten, welche bereits über eine Vorerkrankung im System der jeweiligen potenziellen Nebenwirkung verfügen. Verständlich wird so auch, wie sogenannte Kontraindikationen (KI) für bestimmte Medikamente zustande kommen. Diese, auch Gegenanzeigen genannt, beschreiben in der Medizin Umstände wie eine Schwangerschaft, oder ein individuelles Kriterium wie eine vorliegende Erkrankung, welche eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme verbieten. Unterschieden wird weiterhin in absolute und relative Kontraindikationen. Während sich eine Arzneimittelgabe bei einer absoluten Kontraindikation grundsätzlich verbietet, kann diese bei der relativen Kontraindikation unter strenger Abwägung durch einen Arzt oder eine Ärztin durchaus erfolgen. Eine Missachtung dieser kann für den Patienten erhebliche gesundheitliche Auswirkungen haben. Für das oben genannten Beispiel ergibt sich bei ASS eine absolute KI für bestehende Blutungen im Magen-Darm-Bereich, eine relative für die gleichzeitige Anwendung anderer gerinnungshemmender Arzneimittel.
Wie auch andere Medikamente kann die Einnahme von medizinischem Cannabis zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen. In einer großen Übersichtsarbeit wurden sämtliche Studien zu der Sicherheit von Cannabidiol (CBD), einem gängigen nicht-psychoaktiven Cannabinoid, gesammelt und ausgewertet (1). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die Einnahme von CBD in einem Großteil der Studien beim Menschen auch in hohen Dosen und langwierigem Konsum gut verträglich und sicher war. Vereinzelte Laborstudien an Zellen und Tieren konnten mögliche Wechselwirkungen mit dem Arzneimittelstoffwechsel, gewisse zytotoxische Effekte sowie verminderte Rezeptoraktivität feststellen. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass selbst beim Menschen starke inter-individuelle Unterschiede in der Verstoffwechslung von CBD bestehen, sodass Ergebnisse aus Tierstudien nicht 1:1 auf den Menschen übertragen werden sollten.
Zu den Nebenwirkungen von THC-haltigem medizinischem Cannabis kann eine großangelegte Studie unter knapp 3000 Krebspatienten herangezogen werden (2). In dieser berichten die Autoren von einer sicheren und verträglichen Gabe der Präparate, was sich auch mit anderen Studien zu diesem Thema deckt. Etwa ein Drittel der Patienten berichteten in einem Zeitraum von 6 Monaten von Nebenwirkungen. Diese waren zumeist gering, so zum Beispiel Schwindel, Mundtrockenheit oder gesteigerter Appetit. Studien konnten zudem zeigen, dass die Patienten die Nebenwirkungen von medizinischem Cannabis in 79 % bzw. 57 % der Fälle für weniger stark hielten als solche, die sie bei herkömmlichen starken Schmerzmitteln wie Opiaten erlebt hatten. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie eine Psychose oder Kreislaufkollaps traten nur sehr selten auf. Tödliche Komplikationen durch medizinisches Cannabis sind weltweit bis heute nicht dokumentiert worden.
Aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen und Effekte auf den Medikamentenstoffwechsel durch medizinisches Cannabis ergeben sich sowohl relative als auch absolute Kontraindikationen. Ein kanadisches Forscherteam hat hierzu eine Übersichtsarbeit erstellt, welche in der Praxis helfen soll, geeignete von gefährdeten Patienten für eine Behandlung mit medizinischen Cannabispräparaten zu unterscheiden (3). Dr. MacCallum und Kollegen entwickelten hierfür eine aufsteigende Einteilung, in der eine Gabe von THC-haltigem medizinischem Cannabis durch bestimmte Vorerkrankungen oder Zustände der Patienten von gut überlegt bis hin zu absolut kontraindiziert sein sollte. So sollte die Gabe von medizinischem Cannabis bei älteren Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen, gut überlegt sein. Vorsicht geboten sollte dagegen bei Patienten mit höhergradiger Leberschädigung, starken Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen sowie starken Raucher. Den Autoren nach sei eine relative Kontraindikation für die Einnahme ein Alter von unter 25 Jahren sowie eine aktuelle oder vergangene Abhängigkeitserkrankung. Wichtig ist, dass bei sämtlichen bisherigen Einteilungen bei entsprechender Indikation durchaus ein Cannabispräparat verschrieben werden kann, wobei jedoch die Vorteile und Risiken sorgfältig abgewogen werden sollten. Absolute Kontraindikationen liegen den Autoren nach dahingegen bei Patienten mit starker bipolarer oder psychotischer Erkrankung, vorliegender oder geplanter Schwangerschaft sowie instabilen kardiovaskulären Erkrankungen vor. Die Studie gibt zudem eine praktische Übersicht über andere übliche Medikamente, welche mit THC und/oder CBD-haltigen Produkten interagieren können. Die Interaktion kommt hierbei insbesondere über die Stoffwechselenzyme Cytochrom P450 (CYP) zustande, über die eine Vielzahl von Medikamenten verstoffwechselt werden. So kann einerseits die Wirkung von THC durch die Einnahme eines anderen Medikaments erheblich gesteigert oder reduziert werden, das medizinische Cannabis selbst aber auch zu einer niedrigen Dosis eines anderen Medikaments führen. Dies tritt insbesondere bei Arzneimitteln mit einer schmalen therapeutischen Breite wie bestimmte Krebsmedikamenten auf. Andere Beispiele hierfür sind eine Reduktion der Cannabiswirkung durch Johanneskraut oder auch eine Steigerung der Wirkung durch Grapefruit oder übliche HIV-Medikamente. Eine Beeinflussung durch CBD, das unter anderem das CYP-Enzym 3A4 hemmt, auf die THC-Wirkung scheint nach aktuellem Forschungsstand jedoch unwahrscheinlich.
Speziell für die Verwendung von medizinischem Cannabis bei Schmerzpatienten hat auch die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eine Praxisleitlinie veröffentlicht (4), welche als Handlungsempfehlung für Ärzte dient. In dieser wird zwischen relativen und absoluten Kontraindikationen unterschieden. So stellen laut Leitlinie Suchterkrankungen, ob aktuell oder in der Vorgeschichte, eine relative Kontraindikation gegen die Verordnung von Cannabinoiden dar. Auch eine Verordnung an Jugendliche oder Kinder unterliegt einer relativen Kontraindikation. Die Behandlung solle unter diesen Umständen lediglich in Ausnahmefällen und durch erfahrene Ärzte durchgeführt werden, welche die Einnahme engmaschig kontrollieren. Absolute, also strenge Kontraindikationen sind laut der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin eine vorliegende Schwangerschaft oder Stillzeit, sowie schwere psychiatrische Erkrankungen, insbesondere Psychosen. Die Kontraindikation bei gleichzeitiger Schwangerschaft beruht auf Erkenntnissen, dass eine simultane Cannabis-Einnahme zu einem erhöhten Kaiserschnitt-Risiko, erhöhtem Sauerstoffbedarf während der Schwangerschaft, sowie zu unterentwickelten Neugeborenen führen kann.
Cannabis-Präparate, sowohl CBD- als auch THC-haltig, werden im Allgemeinen gut vertragen und erlauben eine sichere Anwendung. Nichtsdestotrotz sollte Cannabis nicht bei jedem Patienten eingesetzt werden. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sowie Patienten mit Suchterkrankungen sollte eine Gabe gut abgewogen werden, wobei Schwangere und Patienten mit psychotischen Vorerkrankungen zumeist kein medizinisches Cannabis erhalten dürfen. Für eine weitere Verbesserung der Evidenzlage sind auch in Zukunft randomisiert-kontrollierte Studien zum Nebenwirkungsprofil von medizinischem Cannabis vonnöten.
[2] Bar-Lev Schleider, L., Mechoulam, R., Lederman, V., Hilou, M., Lencovsky, O., Betzalel, O., Shbiro, L., & Novack, V. (2018). Prospective analysis of safety and efficacy of medical cannabis in large unselected population of patients with cancer. In European Journal of Internal Medicine (Vol. 49, pp. 37–43). Elsevier BV. https://doi.org/10.1016/j.ejim.2018.01.023
[3] MacCallum, C. A., Lo, L. A., & Boivin, M. (2021). “Is medical cannabis safe for my patients?” A practical review of cannabis safety considerations. In European Journal of Internal Medicine (Vol. 89, pp. 10–18). Elsevier BV. https://doi.org/10.1016/j.ejim.2021.05.002
[4] Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (2018). DGS-PraxisLeitlinie: Cannabis in der Schmerzmedizin. Verfügbar: ttps://dgs-praxisleitlinien.de/download/cannabis/ (Zugriff am 25.04.22)
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