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Kann medizinisches Cannabis zur Behandlung von Endometriose eingesetzt werden?

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Endometriose ist eine Erkrankung, die bei circa 8-15% aller Frauen auftritt. Betroffene Frauen leiden meist während der Menstruation unter starken und krampfartigen Schmerzen, die vom Unterleib bis in den Rücken und die Beine ausstrahlen können. Zusätzlich zu diesen Schmerzen treten häufig auch Übelkeit, Schwindel und gastrointestinale Symptome auf. Etwa 40-60% aller ungewollt kinderlosen Frauen leiden an Endometriose, daher stellt diese Erkrankung eine hohe psychische Belastung für Betroffene dar. Die Ursache für Endometriose liegt in Zysten und Entzündungsherden (Endometrioseherde), die dem Gebärmuttergewebe ähneln und ebenso zyklische Schwankungen aufweisen. Da diese jedoch mit der Menstruation nicht abgestoßen werden können, treten langfristige Gewebevernarbungen und -verhärtungen auf. Eine gesicherte Diagnose für Endometriose kann nur gestellt werden, indem ein laparoskopischer Eingriff durchgeführt wird, um das veränderte Gewebe mikroskopisch zu untersuchen.

Wie kann Endometriose behandelt werden?

Die effektivste Behandlungsmethode stellt die operative Entfernung aller Endometrioseherde dar. Zusätzlich wird eine medikamentöse Schmerztherapie und eine hormonelle Behandlung zur Verhinderung des Aufbaus von gebärmutterartigem Gewebe verordnet. Diese Therapie geht jedoch häufig mit erheblichen Nebenwirkungen einher und schränkt die Fruchtbarkeit der betroffenen Frauen weiter ein. In den letzten Jahren wurde medizinisches Cannabis vermehrt aufgrund der entzündungslindernden Eigenschaften zur Behandlung von Endometriose eingesetzt. Als positiver Nebeneffekt führt die Einnahme von medizinischem Cannabis außerdem zu einer subjektiven Verbesserung von Unterleibschmerzen, Schlafstörungen und gastrointestinalen Symptomen. Darüber hinaus kann medizinisches Cannabis zu einer Linderung von Angstsymptomen und Depressionen beitragen.

 

Aktuelle Studienlage zur Untersuchung der Wirksamkeit von medizinischem Cannabis bei Endometriose

 

Studie 1)

Das Forscherteam um Justin Sinclair der Western Sydney Universität in Australien untersuchte in einer Online-Umfrage, welche Strategien Frauen mit Endometriose anwenden, um ihre Schmerzen zu bewältigen. Zusätzlich sollte die selbst wahrgenommene Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cannabis bei Endometriose festgestellt werden. Dazu wurden insgesamt 484 vollständig ausgefüllte Fragebögen australischer Frauen im Alter zwischen 25 und 36 Jahren ausgewertet.

Ablauf der Studie

Die Forscher unterteilten die Strategien zur Symptombewältigung in drei Kategorien: physisch (zum Beispiel durch Sport oder Dehnungsübungen), psychologisch (etwa durch Meditation oder gezielte Atemübungen) und Veränderungen des Alltags (dazu zählten eine Ernährungsumstellung, Alkoholkonsum oder die Einnahme von Cannabis).
 76% der Frauen berichteten, Strategien zur Symptombewältigung innerhalb der letzten 6 Monate angewendet zu haben. Unter diesen Frauen gaben 48 (13%) an, Cannabis eingenommen zu haben. In diesem Online-Fragebogen wurde keine Angabe über die Zusammensetzung der verwendeten Cannabis-Produkte (Verhältnis von THC/CBD) gemacht. Zur Beurteilung der Schwere der Symptome wurde ein Fragebogen verwendet, der die Beeinträchtigung aufgrund von Unterleibschmerzen in verschiedenen Bereichen erfasste: das Energielevel, die Stimmung, die Schlafqualität, die Verdauung, das Sitzen, die Arbeit oder das Studium, physische Aktivität und das Tragen enger Kleidung.

Ergebnisse der Studie zur Wirksamkeit von Cannabis bei Endometriose

Die Frauen, die Cannabis zur Symptombewältigung anwendeten, gaben auch eine höhere Beeinträchtigung bei der Beantwortung dieser Fragebogen an. Die Beurteilung der Wirksamkeit von Cannabis wurde auf einer Skala von 0 bis 10 untersucht. Hier gaben die Frauen eine wahrgenommene Wirksamkeit von durchschnittlich 7,6 an, wobei 10 die stärkste Wirksamkeit widerspiegelt. Unter den 48 Frauen, die Cannabis zur Symptombewältigung nutzten, konnten alle Frauen die Einnahme weiterer Schmerzmedikamente verringern, 27 Frauen sogar um mehr als die Hälfte. Außerdem konnte die Einnahme von Cannabis andere Symptome verbessern, die abgesehen von Unterleibschmerzen häufig bei Endometriose auftreten (Schlafstörungen, Depression, Angst, Übelkeit und Probleme des Magen-Darm-Systems).

 
 

Studie 2)

Das gleiche Forscherteam veröffentlichte 2021 eine weitere Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit von Cannabis zur Symptomlinderung von Endometriose.

Ablauf der Studie

Bei dieser Studie handelte es sich um eine retrospektive Kohortenstudie auf Basis von Daten einer App, die Selbstauskünfte von Frauen mit Endometriose sammelte. Insgesamt wurden 252 Frauen in diese Studie aufgenommen, die die App verwendeten, um ihre Symptome vor und nach der Einnahme von Cannabis zu beurteilen. Zusätzlich wurden Informationen über die Einnahmeform gesammelt. In einem Zeitraum von 2017 bis 2020 wurden 16.193 Einträge in der App eingepflegt, die für diese Veröffentlichung ausgewertet wurden. Der Therapieerfolg wurde anhand des Vergleichs der Symptombeschreibung vor und nach der Einnahme gemessen.

Ergebnisse der Studie zur Symptomlinderung von Endometriose durch Cannabis

Durchschnittlich waren die Patientinnen, die Cannabis zur Linderung ihrer Endometriose-Symptome nutzen, 35 Jahre alt und verwendeten Cannabis über einen Zeitraum von 5-6 Monaten. Die häufigste Applikationsform war die Inhalation mit etwa 67%. Bei der Inhalation griffen die Frauen auf THC-lastige Cannabisprodukte zurück mit einem Verhältnis von THC:CBD von 90:10. Orale Produkte hingegen wiesen einen höheren CBD-Gehalt auf. Die Patientinnen gaben an, Cannabis hauptsächlich zur Linderung ihrer Schmerzen einzunehmen.

Cannabis konnte signifikant Schmerzen und gastrointestinale Symptome lindern und die Stimmung der Patientinnen verbessern. Die Inhalation von Cannabisprodukten führte zu der besten Symptomlinderung bei Schmerzen aufgrund des schnellen Wirkungseintritts. Dies kann auch auf den höheren THC-Gehalt zurückgeführt werden. Die orale Einnahme von Cannabis zeigte dagegen eine bessere Linderung der gastrointestinalen Symptome und konnte die Stimmung der Frauen effektiver verbessern. In diesem Fall kann die Wirksamkeit auf den höheren CBD-Gehalt zurückgeführt werden. CBD wirkt über die Modulation von Serotonin-Rezeptoren und hat somit einen entzündungshemmenden Effekt auf den menschlichen Körper.

Insgesamt zeigten Cannabisprodukte bei älteren Patientinnen eine höhere Wirksamkeit, da diese sensitiver auf die Einnahme reagierten.

 

Fazit

Sinclair und Kollegen zeigten, dass die Einnahme von Cannabis zu einer signifikanten subjektiven Verbesserung von Unterleibschmerzen, Schlaf, Angst und Depressionen, sowie Problemen des Magen-Darm-Systems führte. Außerdem konnte die Einnahme anderer Schmerzmedikamente durch Cannabis verringert werden. In ihrer zweiten Studie konnte das Forscherteam nachweisen, dass unterschiedliche Einnahmeformen für einzelne Symptome wirksamer sind als andere. So führt insbesondere die Inhalation von THC-reichen Cannabisprodukten zu einer effektiven und signifikanten Schmerzlinderung, während die orale Einnahme von CBD-reichen Produkten die gastro-intestinalen Symptome lindert. Diese Studie liefert Hinweise für die Wirksamkeit von Cannabis zur alternativen Behandlung von Endometriose.

Medizinisches Cannabis kann demnach eine nicht-hormonelle Therapie zur Linderung verschiedener Symptome der Endometriose darstellen – eine neue vielversprechende Möglichkeit für die Frauengesundheit.


 

Quellenangaben

[1] Sinclair, J., Smith, C. A., Abbott, J., Chalmers, K. J., Pate, D. W., & Armour, M. (2020). Cannabis use, a self-management strategy among Australian women with endometriosis: results from a national online survey. Journal of Obstetrics and Gynaecology Canada, 42(3), 256-261.
 
[2] Sinclair, J., Collett, L., Abbott, J., Pate, D. W., Sarris, J., & Armour, M. (2021). Effects of cannabis ingestion on endometriosis-associated pelvic pain and related symptoms. PloS one16(10), Online Version.